In der Klassischen Philologie / Latinistik hat sich der Bereich Neulatein, d.h. die Erforschung der lateinischen Literatur, die ab dem 14. Jh. produziert wurde, nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern weltweit zu einem der großen modernen Trends entwickelt. Das nunmehr bewilligte Humboldt Kolleg soll dazu beitragen, die Förderinstrumente der Alexander von Humboldt-Stiftung der neulateinischen Forschungscommunity noch besser vertraut zu machen.
Inhaltlich soll das Humboldt Kolleg einer attraktiven und bisher ungelösten Frage der neulateinischen Forschung gewidmet sein: Liebe im neulateinischen Epos. Vergils Erzählung von Dido und Aeneas erlebte in der europäischen Literaturgeschichte eine breite Rezeption. Wegen ihrer Bedeutung rund um Fragen der Pflicherfüllung, der Trauer, des von Liebe begründeten Todes wurde Vergils Bericht zur Grundlage vieler lateinischer und volkssprachlicher Liebesgeschichten. Viele epischen Dichtungen jedoch klammern die Geschichte wegen eines komplexen Verhältnisses zwischen Heroismus und Liebe entweder ganz aus oder versuchen, die Dido-Episode in spezieller Art und Weise zu implementieren. Allen Gattungstraditionen zum Trotz ist epische Dichtung stets stark von kulturellen und religiösen Veränderungen beeinflusst, was sich natürlich stark auf die Darstellung von Liebe und Ehe auswirkt.
Im neulateinischen Epos der Frühen Neuzeit wird dieses Problem besonders virulent: Einerseits fußen diese Dichtungen stark auf der Tradition der antiken Epik, andererseits sind die Helden der modernen Gedichte meist Personen der Zeitgeschichte wie beispielsweise Francesco Sforza oder Christine von Schweden. Ziel des Kollegs wird es sein, die verschiedenen Dimensionen von Liebe im neulateinischen Epos zu untersuchen, die Interferenz zwischen Liebe und Heldentum vor dem Hintergrund der Rezeption der griechisch-römischen Antike und realweltlicher Bezüge. In ihren Arbeiten über Emotionen in der Frühen Neuzeit hat Yasmin A. Haskell gezeigt, dass das Thema Liebe und Heldentum im Epos nicht nur signifikant ist, sondern einer genaueren Diskussion bedarf. Eine erste Schneise hat Ludwig Braun mit seinem einschlägigen Aufsatz “Why there is no love in the Neo-latin epic poetry” geschlagen.
Bei der Betrachtung von Liebe und Heldentum erheben sich verschiedene Fragen. Eine wichtige Aufgabe frühneuzeitlicher Herrscher war es, diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu unterhalten. Eine erste Fragestellung des Kollegs wird daher der Frage nachgehen, ob romantische Liebe bzw. arrangierte Ehen zur Verwirklichung dynastischer und machtpolitischer Ziele eingesetzt wurden. Darin liegt bereits eine mögliche Motivation für den epischen Helden begründet. Kann Liebe den Helden überhaupt motivieren? Gibt es in der lateinischen Literatur Figuren, deren Heldentaten nur um der Liebe willen vollbracht werden, wie z.B. Orlando in der italienischen Epik? Andererseits kann auch eine arrangierte Ehe den Helden zwingen, sich selbst in dieser Situation zu beweisen. Lassen sich hier Unterschiede zwischen Helden und Heldinnen feststellen? Und gibt es Unterschiede zwischen verschiedenen Subgenres des neulateinischen Epos, z.B. Epen auf italienische condottieri des 15. Jhs. oder Epen über die Neue Welt?
Vor dem Hintergrund der häufigen Integration paganer Götter in neulateinische Epen und einer gewissen Hybridisierung von Heidentum und Christentum wird auch der Einfluss der chistlichen Moralvorstellungen, insbesondere in Bezug auf die Ehe, untersucht werden. Gibt es im Epos bestimmte Standards für einen liebenden Helden (christliche, heidnische, neu-stoische), die darauf hindeuten, dass die Darstellung der Liebe auf bestimmten philosophischen Konzepten fußt? Was bedeutet es, wenn Liebe moderat oder exzessiv dargestellt ist? Wie wird der liebesbedingte Selbstmord in der Nachfolge der Dido in einer christlich dominierten Welt dargestellt? Ein genauer Blick wird auch auf die Liebe des Antihelden geworfen: Wie wird seine Liebe im Gegensatz zur Liebe des eigentlichen Helden dargestellt? Welche Schlüsse lassen sich aus möglichen Unterschieden ziehen?
Es ist den Organisatoren des Humboldt-Kollegs gelungen, eine gute Mischung aus renommierten Wissenschaftlern aus dem Bereich der neulateinischen Forschung, Humboldtianern und jungen Wissenschaftlern für die Teilnahme am Kolleg zu gewinnen, die sich allesamt dem Thema von verschiedenen Richtungen widmen werden.
Das Humboldt-Kolleg wird im Zeitraum vom 20. bis 22. September 2018 in Innsbruck abgehalten.
Genauere Informationen folgen in Kürze.